8. Rede: Prof. Dr. Hellmuth Karasek

8. Rede: Prof. Dr. Hellmuth Karasek

Prof. Dr. Hellmuth Karasek

8. Hoffmann-von-Fallersleben-Rede 2009

am Freitag, dem 1. Mai 2009, 11.00 Uhr,
im Kaisersaal von Schloss Corvey

Meine Damen und Herren,

das Jahr 2009 hat es in sich. 2000 Jahre ist es her, dass Armin der Cherusker die Römer, nämlich die kaiserlichen Legionen des Varus, schlug. Für die Römer kam die Unterwerfung der Germanen anschließend nicht mehr in Betracht. Wir würden heute im modernen Deutsch sagen, es rechnete sich nicht mehr, dieses Germanenland und deren Stämme zu unterwerfen. Rom war dazu nicht mehr liquide und nicht mehr interessiert genug. So haben ein paar Jahrhunderte später die Germanen Rom aufgelöst. Grob gesprochen war der Sieg Armins die erste Teilung Deutschlands diesseits und jenseits des Limes. Infolge etablierte sich der Rhein als Grenzlinie. Wir werden auf den Rhein noch zurück zu kommen haben. Es entwickelte sich, anders als in Gallien, eine deutsche Sprache und bei der Teilung, wir sind ja hier im Kaisersaal, musste die Teilungsurkunde bereits in zwei Sprachen verfasst werden. Diese Sprache hatte Martin Luther als Schrift- und Hochsprache durch seine Bibelübersetzung und durch die Verwandlung der Gottesdienstsprache in seine deutsche Sprache neu geschaffen. Aber auch dies war wieder eine Teilung, die in 30 Jahren Krieg explodierte. Definiert man eine Nation durch gemeinsame Sprache, gemeinsame Geschichte und ein gemeinsames Staatswesen mit einer gemeinsamen Herkunft und Gesetzgebung, dann hat es diese Einheit seit dieser Zeit nicht sehr oft und nie sehr lange gegeben. Die deutsche Sprache wurde in drei Staaten gesprochen, Deutschland, Schweiz und Österreich. Es gilt die scherzhafte Karl Kraus oder Polga zugeschnittene Definition, Österreich und Deutschland sind zwei Länder, getrennt durch die gemeinsame Sprache. In Wahrheit ist dies natürlich eine Übersetzung, des wiederum Oscar Wilde oder Marc Twain zugeschriebenen Satzes „England and the United States of America are two Countries, be why the same language“. Das gilt also für beide.

Die deutsche Geschichte ist eine Geschichte der Teilungen und Versplitterungen und damit der unstillbaren Sehnsucht nach Vereinigung. Diese Sehnsucht in einem freiem Gemeinwesen, das möchte ich vorweg nehmen, ist zum ersten Mal in unserer Geschichte gestillt. Das sollten wir nie vergessen, wenn wir an unseren jetzigen Zuständen herummäkeln. In der ersten Strophe des Deutschlandliedes, weswegen ich hier spreche, lassen sich die gemeinsamen Sprachgrenzen noch ahnen. Maas, das holländische, ist ein Teil der deutschen Sprache. Memel, das Gebiet, das die deutschen Ordensritter besiedelten und in dem Preußen einen Königsthron fand, den er nicht mit den Reichen teilen musste. Von der Etsch in Südtirol, wo heute noch Deutsch gesprochen wird, bis an den Belt, die fließende Sprachgrenze zu Skandinavien. Eine im 19. Jahrhundert umkämpfte Grenze macht das deutlich. In dieser Strophe hat, ich greife hier auch ein wenig vor, Kurt Tucholsky, die Hymne großmäulig genannt. Das ist eine Verkennung, denn sie ist nicht großmäulig. Zwar ist Hoffmann von Fallersleben kein großer Dichter. Niemand wird diesem Irrtum verfallen wollen, dafür ist er schon zu populär gewesen. Aber etwas anderes will ich damit sagen. In dieser Hymne ist er nicht großmäulig, sondern er drückt einen deutschen, eigentlich eher geistigen, Traum aus.

Machen wir einen gewaltigen Sprung, den ins 20. Jahrhundert. 1919 haben wir wieder ein Jubiläum, das der Weimarer Verfassung. Das der ersten Republik auf deutschem Boden, konstituiert durch die Nationalversammlung. Es war, so können wir rückblickend sagen, eine ungeliebte Republik der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzung von Anfang an und der bürgerkriegsmäßigen Machtübernahme. Die ungeliebte Republik ist mit ihrer Hypothek des Versailler Vertrages nie fertig geworden. Und in der Tat: Versailles war das, was den Nationalismen in Europa sozusagen die schärfste Waffe gegeneinander in die Hand lieferte.

Und dann das Jahr 1949. Das dritte Jubiläum, das ich hier anführen möchte. Das Grundgesetz, das am 23. Mai sein Jubiläum hat. Die Gründung der zweiten Republik auf deutschem Boden von Anfang an belastet durch die deutsche Teilung. An diesem 23. Mai wird in Berlin, das damals gar nicht innerhalb des Staates lag, wo diese Verfassung gilt, alle 5 Jahre der Bundespräsident gewählt. Ich erinnere mich noch an die Zeiten, wo jedes Mal bei der Bundespräsidentenwahl russische Flugzeuge über die Stadt im Tiefflug flogen, um sozusagen zu zeigen, was wir könnten, wenn wir wollten und dürften. Das war wirklich durch viele, viele Jahre die Begleitmusik zu diesem 23. Mai. Das heißt, die Gründung der Bundesrepublik war von Anfang an belastet durch die deutsche Teilung. Die Befreiung Deutschlands aus der Diktatur Hitlers geschah von außen mit unbedingter rücksichtsloser notwendiger Gewalt durch die Alliierten USA, Großbritannien und Frankreich auf der Westseite und durch die Sowjetunion auf der Ostseite. Durch eine Armee einer anderen Diktatur also auf der anderen Seite. Schon 1945 hatte Churchill, er war nicht mehr britischer Premier, in einem Vortrag in den USA zum ersten Mal vom eisernen Vorhang gesprochen, der durch Europa ginge. Das ist die berühmte Rede in Amerika gewesen, die zum ersten Mal dann auch versucht, diesem Zustand Einhalt zu gebieten. Dieser eiserne Vorhang, der gleich das Ende des 2. Weltkriegs und den Beginn des Kalten Krieges markierte, hat Deutschland, das offiziell gemeinsam von den vier Besatzungsmächten bis zum Friedensvertrag verwaltet werden sollte, es wurde dadurch zweigeteilt, gespalten, ja auch dreigeteilt, da die Sowjetunion in ihrem Herrschaftsbereich die für den Friedensvertrag vorgesehene Abtretung der Oder-Neiße-Gebiete, also Schlesien, Pommern, Ostpreußen, und die Vertreibung der Deutschen aus diesen Gebieten als Fait accompli vorwegnahm. Das sind natürlich längst anerkannte Fakten und die Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen. Ich glaube aber, dass wir aus der europäischen Geschichte eine Hoffnung auch in dieser Hinsicht schöpfen können. Als ich mit meinem kleinen Sohn, er wird dieses Jahr 50, zum ersten Mal in Elsass-Lothringen war, da hatte er unseeligerweise ein Schwert und eine Rüstung bei sich, und als wir in Verdun waren, nahm er das aus dem Auto mit und mir ist der Angstschweiß die Stirn herunter gelaufen. Ich glaube, er könnte heute in Verdun ohne große Mühe mit seinem deutschen Sohn oder Enkel herumlaufen, und es würde sich niemand mehr darüber aufregen.

Als vor wenigen Wochen die Kanzlerin und der französische Ministerpräsident den Rhein überschritten haben, ist er zwar noch eine Grenze, aber er stellt keine mehr dar. Das ist kein Problem mehr und ich denke, dass das eines Tages innerhalb des europäischen Rahmens auch mit Polen gelingen kann. Die Zweiteilung, wie gesagt, war das bitterste Ergebnis des Kriegsendes und des Kalten Krieges. Nur die Furcht vor der atomaren Katastrophe und die daraus resultierende bis an die Zähne aufgerüstete Vernunft im Gleichgewicht des Schreckens hat, nachträglich kann man sagen, wie durch ein Wunder Europa einen dauerhaften, wenn auch schwerstbewaffneten Frieden geschenkt. Es ist der längste Friede, den die europäische Geschichte bisher kennt.

Dann kam das zweite Wunder – Mauerfall und Wiedervereinigung von 1989. Da feiern wir die friedliche Revolution und die friedliche Wiedervereinigung. Es wurde hier schon gesagt, das ist wirklich eines der Wunder und ich bin stolz, dass ich dieses Wunder wirklich bewusst, ja sehr bewusst, miterleben durfte. Manchmal kann ich davon immer noch nicht weiter sprechen, weil mir die Tränen kommen. Doch jetzt zum Jubiläum mischen sich erstaunliche Misstöne in diese Feierstunde. Da sagt Herr Müntefering, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, man habe versäumt, eine gesamtdeutsche Verfassung zu schreiben. Man habe die Ostdeutschen eingemeindet und unter diese Verfassung vergewaltigt. Jetzt sei es zu spät. Ich dachte bisher immer, dass das Provisorium des Grundgesetzes sich in der deutschen Geschichte sehr bewährt hat und ich glaube, dass wir nichts tun sollten, um uns um dieses Geschenk der Verfassung, das die Gründungsväter geschaffen haben, zu bringen. Sie ist inzwischen mit einer Verfassungsgeschichte gefüllt. Wir haben ein Bundesverfassungsgericht an der Seite der staatlichen Gewalten als dritte Kraft sicher durch alle Krisen geleitet hat, und wir haben Dank der Meinungsfreiheit die vierte Gewalt der öffentlichen und garantiert zu veröffentlichenden Meinung gewonnen, und aus diesem Gleichgewicht hat sich eine Verfassungswirklichkeit ergeben, an der man gerne verbessern kann und die man gerne der Zukunft anpassen kann, aber die mit 2/3 Mehrheit als unveränderbar rein geschriebenen Teile sollten nicht in Frage gestellt werden.

Ich erwähne als zweiten Misston die des Pfarrers Christian Führer. Ich weiß nicht, ob Sie seinen Namen noch im Gedächtnis haben. Es war der mutige Wortführer der Leipziger friedlichen Revolution, der Demonstrationen, wo das deutsche Schicksal an einem Tag auf des Messers Schneide stand, das es sich nicht in ein Blutbad verwandelte. Christian Führer ist inzwischen pensioniert und hat neulich in einem merkwürdig zu seiner damaligen Haltung passendem Interview missmutig gesagt: „Das einzig neue waren die Postleitzahlen und einige neue Autokennzeichen.“ Wenn das alles ist, was aus der friedlichen Revolution herausgekommen ist, dann kann ich nur sagen, dann kann es sich nur um einen seltsamen Katzenjammer eines der Wortführer handeln. Dem hat natürlich sofort Schröder, der SPD-Schröder, der Kirchenmann aus der DDR, widersprochen. Eine neue Verfassung anzustreben, ohne zu sagen, was erneuert werden sollte, ist doch eine zu verrückte Idee und Führer hat vorgeschlagen, man solle den Titel Bundesrepublik Deutschland aufgeben, also die Staatsbezeichnung. Auch das ist eine Sache, die sich nicht durchsetzen wird und die wir gar nicht überprüfen müssten, wenn es nicht interessant wäre, das die Erinnerung nach so kurzer Zeit ein Ereignis so im Wert vermindert, wie das geschieht.

Das eigentlich Wichtige, und hiermit bin ich bei der Nationalhymne,  hat Heribert Prantel in der Süddeutschen Zeitung einen Vorschlag unterbreitet. Hätte ich das Datum mir nicht genau angeguckt, hätte ich gedacht, es sei ein Leitartikel zum 1. April. „Ein paar Wochen vor einem großen Jubiläum“,  schreibt Prantel, „ist es Zeit, sich ein Geschenk zu überlegen. Praktisch soll es sein, auch ein wenig symbolträchtig. Das Geschenk soll etwas zu tun haben mit dem Fest, das gefeiert wird und mit den Ereignissen, deren man gedenkt. 60 Jahre Grundgesetz, 60 Jahre Bundesrepublik. Etwas später dann 20 Jahre Mauerfall. Das Land könnte sich selbst beschenken mit einer zweiten Strophe zur Deutschlandhymne. Bisher gibt es nur eine einzige – Einigkeit und Recht und Freiheit – daran könnte man eine zweite anhängen. Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt. Es ist dies die erste Strophe der alten DDR-Hymne. Die durfte seit 1973 nicht mehr gesungen werden, da darin von Deutschland einig Vaterland die Rede ist. Das passte den DDR-Machthabern nicht. Diese Losung wurde aber dann ein Treibsatz der friedlichen Revolution von 1989“. Ende des Zitats.

Ich habe mir gedacht, da Nationalhymnen inzwischen vorzüglich bei Sportereignissen, bei Olympiaden und Fußballländerspielen gesungen werden, käme die zweite Strophe ohnehin nicht zum Zuge. Schon bei der ersten Strophe erlebe ich bei erst kürzlich eingedeutschten wunderbaren Fußballspielern, das sie nur die Lippen bewegen. Es sei ihnen unbenommen. Wir brauchen ihre Beine und nicht ihre Lippen.

Dennoch ist der Vorschlag so absurd, dass ich am Ende darauf zurückkommen möchte. Ich möchte jetzt nämlich den Teil einleiten, der der deutschen Nationalhymne und ihrer Geschichte gewidmet ist. Die deutsche Freiheitsbewegung in den Befreiungskriegen, die auf die französische Revolution und auf Napoleon folgte, hatte ein zwielichtiges Antlitz. Einerseits war Napoleon in der Tat derjenige, der die französische Verfassung, vor allen Dingen das französische Recht, den Code Napoleon, nach Deutschland exportiert hatte und damit beispielsweise von Beethoven feierlich begrüßt worden ist. Als ein Held von Hölderlin, der auch Deutschland sozusagen die Freiheit bringt. Das hat sich sehr schnell geändert als aus dem Befreier ein Usurpator wurde. Einer, der sozusagen Deutschland gleichzeitig seinen politischen Weltherrschafts- oder Europaherrschaftsinteressen unterordnen wollte. Im Wiener Kongress 1815 ist sozusagen das napoleonische Erbe begraben worden. Napoleon hatte vorher im Reichsdeputationshauptschluss von Regensburg das Deutsche Reich endgültig beerdigt, und es gab von 1806 an keinen deutschen Kaiser mehr. Die Befreiungskriege setzten aber in Deutschland zweierlei frei. Einmal ein immenses Anwachsen der  nationalen Idee. Das wurde durch Freischärler, Burschenschaftler, der Turnervereinigung mit Friedrich Ludwig Jahn, deutschtümelnde Leibesübungen nannte er das, befördert. All das war etwas, was die Idee des Deutschland beflügelte. Aber sie war ja noch gekoppelt mit der Idee der Freiheit und der Gleichheit. Mit den Ideen der französischen Revolution. Und dies hat der Wiener Kongress von 1815 wieder einzufangen versucht. Ich glaube, wir müssen in diese Bewegung, eines der Opfer wurde schon beim Vorredner erwähnt, Schill wurde in Wien hingerichtet, ich glaube wir müssen die beiden Bewegungen sozusagen ineinander sehen, um uns klar zu machen, was sich damals für Verschiebungen abspielten. Die Verschiebungen waren dadurch gekennzeichnet, dass die einen ein großdeutsches Deutschland von unten wollten, dem aber die dynastischen Interessen so im Wege standen, dass die anderen sozusagen in der Gefolgschaft Preußens, der neuen führenden Macht in Norddeutschland, das kleindeutsche Deutschland bevorzugten.

Auch hier können wir wieder aus der Geschichte lernen. Noch ehe es den Euro gab, war der Anschluss Österreichs, der sozusagen nach 1918 verboten war durch den Versailler Vertrag, kein Thema mehr. Der Kurs 1 zu 7 garantierte, dass die beiden Länder wiedervereint waren, ohne sich je wieder vereinen zu müssen. Also, es gibt auch Lösungen, die durch den Tourismus vonstatten gehen und die nationalen Handlungen eines Tages überflüssig machen. Ich werde wieder etwas ernster. Ich glaube, der Wiener Kongress hat dazu geführt, dass sozusagen das junge Deutschland, dass heißt die Wortführer der parlamentarischen Revolte, dass diese jungen Wortführer verfolgt und unter Kuratel gestellt werden sollten. Ich glaube, Hoffmann von Fallersleben hat darüber ein Gedicht geschrieben, das ich Ihnen vorlesen möchte, wegen dieses Gedichts hat er seine Professur verloren. Das Gedicht geht so:

Der Minister in der Hölle

Ich armer Sündenbock verschmachte in dieser heißen Höllenglut

und doch wenn ich es recht betrachte, so geht’s mir immer noch zu gut.

Ich hab mit Rescriptien weiland geplagt die ganze Monarchie,

(also Verfolgungen von freiheitlichen Leuten),

ich war gewiss für Sie kein Heiland, und dennoch plagten sie mich nie.

Ich hab mit Berichterstatten

gepeinigt, manchen braven Mann

und was sie dann berichtet hatten,

das sah ich niemals weiter an.

Ich hab durch Kongluitenlisten und durch geheime Polizei

verleitet viele gute Christen zu Lug und Trug und Heuchelei.

Ich habe mit Zensur erlassen

gehemmt den Fortschritt unserer Zeit.

Ich zwang die Welt mich recht zu hassen

und dennoch bracht ich´s nicht so weit.

Ich habe jeden Stand beleidigt

und als der Tod mich abgesetzt,

da haben sie mich noch verteidigt,

gelobt und benedeit zuletzt.

Ich habe mit des Fortschritts Schlangen gekämpft wie Laokoon.

Die Zeit ist ruhig fort gegangen.

Mein Herr,  ich  hab nichts davon.

Ich habe meinen Herrn immer an unseren Herrgott nie gedacht.

Der liebe Herrgott hätte auch nimmer zum Herrn Minister mich gemacht.

Nun schmachte ich in den Hölleschlünden,

geschmückt mit Ordensband und Stern.

Gern möchte ich büßen für meine Sünden,

doch büß ich erst für meinen Herrn.

Ich war auf Erden nie mein eigen,

so schlage doch der Teufel drein.

Ich kann mich nicht mehr anders zeigen,

muss immerfort Minister sein.

Wegen dieses Gedichts wäre Hoffmann von Fallersleben fast wieder seiner Professur verlustig gegangen, weil die Breslauer dieses Gedichts an die Litfasssäulen schlugen, die es damals noch nicht gab, sondern an die Wände und deshalb musste er sehr, sehr lange in der Verbannung leben und durfte in Preußen nicht leben und hat in Mecklenburg Zuflucht gesucht. Kurz, es war so, dass er ständig auf der Flucht war und ständig ohne Geld war.

Ich komme jetzt zum Deutschlandlied.

1841 war Hoffmann auf Helgoland. Er schreibt in seinen späteren Büchern: „ Am 28. August kommt Campe. Er bringt mir das erste fertige Exemplar des zweiten Teils der „Unpolitischen Lieder“. Während ich darin blättere, bemerkt er, nun erscheinen auch noch nächstens bei mir die Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters. Am 29. August spaziere ich mit Campe am Strande. Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber vier Louisdor. Wir gehen in das Erholungszimmer. Ich lese ihm „Deutschland, Deutschland über alles“  und noch ehe ich damit zu Ende bin, legt er mir die vier Louisdor auf meine Brieftasche. Wir beratschlagen, in welcher Art das Lied am besten zu veröffentlichen. Campe schmunzelt, wenn es einschlägt, so kann es ein Rheinlied werden. Zum Rheinlied komme ich noch. Gemeint sind natürlich alle diese Lieder, die dann so gehen: „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“. Also ein Rheinlied, das war die Auseinandersetzung mit Frankreich. Von diesen drei Bechern muss mir einer zukommen. Ich schreibe es unter dem Lärm der jämmerlichsten Tanzmusik ab. Campe steckt es ein und wir scheiden. Am 4. September bringt mir Campe das Lied der Deutschen mit der haydnschen Melodie mit Noten usw. Jetzt kommt die Aufnahme dieses Liedes wenige Tage später in Hamburg. 5. Oktober abends 10 ½ wird Welker , das ist einer der Burschenschaftler und Turner, der zwei Tage bevor er angekommen ist, ein Ständchen gebracht, die Schäfersche Liedertafel und die Turner erscheinen und singen bei Fackelschein und mit Begleitung von Hornmusik „Deutschland, Deutschland über alles“. Dann redet Dr. Wille auf Welker. Ein donnernd Hoch ertönt aus 1000 Kehlen. Seit der Anwesenheit des Blücher in Hamburg vor vielen Jahren soll eine solche Begeisterung, solche Einmütigkeit nicht gesehen haben. Welter dankt tief bewegt. Es wird nun ein zweites Lied von mir gesungen. Die Feier ging bis um halb drei Uhr morgens.“

Das war die Geburtsstunde des Deutschlandliedes auf deutschem Boden. Dass es natürlich in Helgoland komponiert und geschrieben wurde, hatte auch seine historische Bewandnis. Denn Helgoland war seit der Kontinentalsperre und den napoleonischen Kriegen von England okkupiert und ist erst lange nach der Komposition des Liedes wieder an Deutschland zurückgegeben worden. Und Helgoland war sozusagen der Ort, ja man könnte sagen, zunächst mal ein Ort des glücklichen Schmuggelns, die haben damals viel verdient und das tun die glaube ich heute noch mit bestimmten Waren, aber es war auch der Ort, wo die deutsche Freiheit sich in einer Sehnsucht sozusagen manifestierte.

Soweit also zum Deutschlandlied, und ich möchte jetzt auf den Anfang zurückkommen und über Nationalhymnen sprechen. Das Deutschlandlied ist am 11. August 1922 durch Friedrich Ebert, den ersten deutschen Reichspräsidenten, der am 09.11.1918 aus der Hand des Prinzen Max von Baden unter Zustimmung sämtlicher Staatssekretäre Reichskanzler zuerst geworden war und dem die Nationalversammlung zum vorläufigen Reichspräsidenten wählte in Weimar. Zum vorläufigen, man hat sich damals in den unruhigen Zeiten nicht getraut, einen Wahlkampf um dieses Amt schon zu führen. Die Wahlkämpfe zum Amt des Reichspräsidenten sind nachher auch die Totengräberstunden der Republik geworden, erst für Hindenburg und dann Hitler in der Stichwahl gegen Hindenburg, wo er zwar verloren hat, aber das hat man sich nicht getraut. Aber am 24.10.1922 wurde seine Amtszeit automatisch bis 1925 verlängert und Ebert hat also wie gesagt 1922 im August kurz vor seinem Tod das Deutschlandlied zur Nationalhymne erklärt. Ich lese in dem Nazilexikon von 1937 Meyers Lexikon. Es hat nur 9 Bände, weil die 1000-jährige Zeit für mehr Bände nicht reichte. Der letzte Band geht von Racket bis Sachslet. Ich habe jetzt vergessen nachzuschlagen, was das heißt, aber das ist auch nicht wichtig. In diesem Lexikon steht „Deutschlandlied – das Lied der Deutschen. Die Melodie ist der alten österreichischen Kaiserhymne, komponiert 1797 von Joseph Haydn, entlehnt. Das Deutschlandlied wurde bereits vor dem 1. Weltkrieg als Ausdruck nationaler Einheit bei Feiern gesungen. Es ist seit 1922 deutsche Nationalhymne. Seit der deutschen Revolution ist das Deutschlandlied gemeinsam mit dem Horst Wessel-Lied Nationalhymne.“

Wir hatten also schon einmal eine zweite Strophe. Die frühere Hymne „Heil dir im Siegerkranz“, die preußische Hymne, wurde dem dänischen König 1790 zuerst als Hymne gewidmet und so weiter und so fort. Die Hymnen der damaligen Zeit sind Volkshymnen. Sie sind es meist in martialischer Form. Die griechische Hymne beginnt nach den Freiheitskriegen der Griechen. „Ich erkenne dich an der furchtbaren Schneide des Schwertes von Dionysos.“ Daran soll man den Griechen erkennen. Die meisten Nationalhymnen entstanden im Zuge des Kampfs um nationale Unabhängigkeit. Die Nationalhymne der Franzosen, die Marseillaise, ist ein Lied der französischen Freiheit und ihren blutigen Folgen. Sie hat als Unterschied zu anderen Hymnen alle Zeitläufe unverändert und ohne andere Strophen zugedichtet bekommen überstanden und ich stelle mir mal vor, jemand würde in Frankreich in einem Leitartikel schreiben, mal sollte eine andere Nationalhymne einführen. Das wäre schon sehr komisch. Wie gesagt, die Nationalhymnen sind Volkshymnen. „Die Wacht am Rhein“ ist eine davon. Eine andere ist „Was ist des Deutschen Vaterland“ von 1813 von Ernst Moritz Arndt geschrieben, der damals in den Freiheitskriegen auch den Deutschen auf den Weg gab, „der Gott, der Eisen wachsen ließ, der wollte keine Knechte, drum gab er Lanzen, Speer und Spieß, den Männern in die Rechte.“

Und das Lied, das er schrieb 1825: „Was ist des Deutschen Vaterland?“ Das will ich Ihnen nicht hier voll zitieren, aber eine Strophe:

„Was ist des Deutschen Vaterland? Ist Pommernland, Westfalenland, ist, wo der Sand der Dünen weht, ist, wo die Donau brausend geht. Oh nein, nein, nein. Sein Vaterland muss größer sein.“

Ich glaube, es wird daraus, ebenso wie an dem Lied der Deutschen deutlich, dass sozusagen eine geistige Perspektive einer lange unterdrückten Nation je nachdem sich damit begnügt, etwas von Deutschland zu träumen oder dass sie in missbrauchenden Zeiten dazu übergehen, dieses Lied sozusagen zu missbrauchen und zum Kriegsgesang zu machen.

Mit dem Deutschlandlied auf den Lippen sind die Soldaten bereits in den ersten Weltkrieg gezogen, als es noch keine Nationalhymne war. Nach dem Zusammenbruch 1945 haben die Alliierten das Deutschlandlied verboten. Nach der Staatsgründung 1949 wurde nach einer Festlegung in einem Briefwechsel zwischen Bundespräsident Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer die dritte Strophe als offizielle Hymne gesungen. Nach der Wiedervereinigung gibt es dann wieder einen Briefwechsel zwischen dem Bundespräsidenten und dem Bundeskanzler. Ich lese, was der Bundespräsident 1991 geschrieben hat: „Seit dem 3. Oktober 1990 gilt auch die Nationalhymne der bisherigen Bundesrepublik für das vereinte deutsche Volk. Das Lied der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben vor 150 Jahren in lauteren Gedanken verfasst, ist seither selbst der deutschen Geschichte ausgesetzt gewesen. Es wurde geachtet und bekämpft als Zeichen der Zusammengehörigkeit und gemeinsamer Verantwortung verstanden, aber auch in nationalistischer Übersteigerung missbraucht.“

Hier haben Sie diese beiden Wege.

„Als ein Dokument deutscher Geschichte bildet es in all seinen Strophen eine Einheit. Aufgrund des Briefwechsels zwischen Bundespräsident Heuss und Bundeskanzler Adenauer vom 29. April 1952 hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die dritte Strophe des Liedes im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. Gerade in Zeiten der Teilung hat sich der tiefe Wunsch der Deutschen nach Rechtstaatlichkeit und Einheit in Freiheit ausgedrückt.“

Dann schreibt er, dass sie jetzt wieder die Hymne wird. Soweit der Bundespräsident Weiszäcker. Und Kohl antwortet: „Einigkeit und Recht und Freiheit. Mit diesem Dreiklang gelang es nach 1949, die erfolgreichste rechtstaatliche Demokratie unserer Geschichte zu gestalten und den Wunsch nach nationaler Einheit wach zu halten.“

Ich glaube, wir müssen jetzt ganz kurz zur Nationalhymne der DDR. Die Nationalhymne der DDR wurde als Replik an das Deutschlandlied entworfen. Brecht, sicher der größte deutsche Lyriker, ein viel größerer als Hoffmann, hat eine Parodie damals auf die Bundeshymne geschrieben, die so geht: „Deutschland, Deutschland über alles,

nur nicht über unser Geld,

wenn es auch gegebenenfalls dadurch auseinander fällt.“

(Gemeint war die Währungsreform. )

Ja, vom Rhein bis an die Elbe

sind wir westlich eingestellt,

ist das Ziel doch ganz dasselbe

für den reichen Mann mehr Geld.

Deutsche Kohlen, deutsches Eisen, deutsches Holz und deutscher Stahl

liefern wir zu Schleuderpreisen

an das Wallstreet-Kapital.

Und Wahlen gibt es allgemeine,

nur in dem gibt’s keine Wahl.

USA hält Wacht am Rheine,

das der deutsche Michel zahlt.“

Sie sehen, auch große Lyriker haben ihre schwachen Stunden. Ich möchte aber jetzt die DDR-Hymne von Johannes R. Becher, von der vorgeschlagen wurde, dass sie zur deutschen Nationalhymne werde, kommen. Sie heißt: Auferstanden aus Ruinen. Der Text ist von Johannes R. Becher, die Melodie von Hanns Eisler.

„Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt,
lasst uns Dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen, und wir zwingen sie vereint,
denn es muss uns doch gelingen, dass die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint, über Deutschland scheint.“

Diese erste Strophe scheint tatsächlich modest. Aber die Sonne schön wie nie, heißt das nicht, dass wir bald in einer Art Paradies übersiedelt werden sollten? In einem Sonnenparadies?

Die zweite Strophe geht so:

„.Glück und Friede sei beschieden Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden, reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen, schlagen wir des Volkes Feind.
Lasst das Licht des Friedens scheinen, dass nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint, ihren Sohn beweint. “

„Des Volkes Feind“, da wird die Einheit der Hymne schon sehr eingeengt.

Und die letzte Strophe:

„Lasst uns pflügen, lasst uns bauen, lernt und schafft wie nie zuvor,
und der eignen Kraft vertrauend steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben unsres Volks in dir vereint,
wirst du Deutschlands neues Leben. Und die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint, über Deutschland scheint.“

Soweit das Gedicht von Johannes R. Becher. Als diese Hymne veröffentlicht wurde, lebte ich noch in der DDR und war erschrocken, mit welcher Wucht und auch nationalem Pathos die Tür zur Wiedervereinigung von Osten aus zugeschlagen wurde unter dem Vorwand, es ginge um die Einigung. Aber es war in Wahrheit das Ende derselben.

Brecht hat übrigens mit Johannes R. Becher um die wirkliche Nationalhymne konkurriert. Der große Bürger Brecht hat gegen den guten Lyriker Johannes R. Becher verloren ,und Brecht hat seine Nationalhymne später in die Kinderhymnen aufgenommen. Auch sie möchte ich zum Schluss noch zitieren:

„Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Dass ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land

Dass die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.

(Die Replik auf Hoffmann ist hier sehr deutlich zu erkennen. Und die letzte Strophe, eigentlich eine Kabarettnummer:)

Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir’s
Und das liebste mag’s uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.“

Dass also die Nationalhymne, die durchgefallen ist. Die DDR hatte dann mit ihrer Hymne in der Tat Schwierigkeiten, weil sie durch sämtliche Phasen des Alleinvertretungsanspruchs der Zweistaatlichkeit der beiden deutschen Staaten auf einem deutschen Gebiet sozusagen nicht mehr Deutschland einig Vaterland gegen was haben konnte. Also wurde die Becher- Nationalhymne des Textes geraubt, nicht des Volkes wegen, sondern der sowjetischen Diplomatie wegen und sie wurde nicht gesungen. Ich will zum Schluss noch zeigen mit einem einzigen Gedicht, das Hoffmann von Fallersleben geschrieben hat 1871, als er seinen Frieden mit dem Kaiserreich machte:

An die Männer des deutschen Reichstags (in der Berliner Nationalzeitung)

Nun haltet Stand und wanket nicht,

dass wieder nicht zusammenbricht,

das deutsche Reich vom deutschen Mut

gekittet erst mit Gut und Blut.

Oh zeigt, dass ihr gewachsen seid als Männer einer großen Tat.

Auch jeder großen edlen Tat für unseren Volkes Einheitsstaat.

Nun wanket nicht und haltet Stand

die Liebe für das Vaterland.

Für Deutschlands Recht- und Freiheitsort,

bleibt Euer erst und letztes Wort.

Auch Hoffmann von Fallerslebens Nationalhymne sollte man vor der eigenen Fortsetzung schützen.